15.05.11 – Wer auffährt hat Schuld

Bereits in der Fahrschule lernt man, dass jeder Autofahrer einen an die Geschwindigkeit angepassten Sicherheitsabstand einhalten muss. Daher hat sich auch der Satz: „Wer auffährt hat Schuld.“ bei den meisten Autofahrern eingeprägt. Da die Ursache für die meisten Auffahrunfälle auch das Nichteinhalten des Sicherheitsabstandes oder  die Unaufmerksamkeit des Auffahrenden als Ursache hat, wird in diesen Fällen von einem Anscheinsbeweis dahingehend ausgegangen, dass der Auffahrende den Unfall verschuldet hat. Will der Auffahrende den Schaden an seinem Fahrzeug vom Vorausfahrenden ersetzt haben, so muss er beweisen, dass der Fahrer im vorausfahrenden PKW etwas falsch gemacht hat. Da jedoch nicht immer der Auffahrende einen Fehler gemacht hat, gibt es von diesem Grundsatz auch Ausnahmen. Dies bedeutet, dass der Auffahrende nicht bereits wegen des Anscheinsbeweises als Schuldiger des Verkehrsunfalls gilt.

Hierzu hat der BGH in der Vergangenheit bereits entschieden, dass es sich nicht um einen „typischen Auffahrunfall“ handelt, wenn es dem Auffahrenden nicht möglich gewesen ist, einen ausreichenden Sicherheitsabstand zu dem Vorausfahrenden aufzubauen. Dies ist z.B.  dann der Fall, wenn der Vorausfahrende kurz vorher einen Fahrstreifenwechsel durchführt. Die Rechtsprechung verneint in diesen Fällen das Bestehen einer Anscheinsbeweissituation, da es möglicherweise nicht ausgeschlossen ist, dass der Auffahrende keine Zeit hatte, einen ausreichenden Sicherheitsabstand aufzubauen.
Eine andere Ausnahme sieht der BGH in den Fällen, wo bereits aus dem Schadensbild zu vermuten ist, dass kein achsparalleler Zusammenstoß stattgefunden hat und die Beschädigungen auf einen Streifzusammenstoß deuten. In diesen Fällen sprich eine gleich hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Vorausfahrende kurz vorher das Überholte Auto geschnitten hat, indem er sich mit einem zu geringen Abstand vor den Pkw des Auffahrenden gesetzt hat.
Mit dem Urteil vom 30.11.2010 Az.: VI ZR 151/10 hat der BGH seine bisherige Rechtsprechung bestätigt und ging bei diesem Auffahrunfall von einer hälftigen Schadensteilung aus. In dem Rechtsstreit konnte die Frage nicht geklärt werden, ob sich ein erfolgter Fahrspurwechsel vor der Kollision unfallursächlich ausgewirkt hat oder nicht. Wäre der BGH  von dem Anschein: „Wer auffährt hat Schuld.“ ausgegangen, hätte der Auffahrende seinen Schaden allein bezahlen müssen.
Es ist daher zu empfehlen, sich auch bei vermeintlich „klaren“ Unfallsituationen anwaltlich beraten zu lassen, da es auch in vielen anderen Fällen Ausnahmen von der Regel gibt.

Rechtsanwalt Ralf Breywisch
Fachanwalt für Verkehrsrecht

Mitglied Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht