10.02.19 Besteht eine Pflicht zur Inanspruchnahme der Vollkasko?

Muss ein Geschädigter, der unverschuldet in einen Verkehrsunfall verwickelt wird seine Vollkaskoversicherung in Anspruch nehmen?

Nach einem Verkehrsunfall ergeben sich immer wieder Fragen, die man vorher nicht für möglich gehalten hätte. So auch die Frage, ob man nach einem unverschuldeten Verkehrsunfall seine Vollkaskoversicherung in Anspruch nehmen muss. Die Vollkaskoversicherung wird normalerweise abgeschlossen um Versicherungsschutz für Schadensereignisse zu erhalten, in denen kein Dritter haftet. Warum also sollte ein Geschädigter seine Vollkaskoversicherung in Anspruch nehmen, wenn er den Unfall nicht verursacht hat und der Unfallgegner bekannt ist? Seitens der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer wurde den vergangenen Jahren viel Geld ausgegeben um in Rechtsstreitigkeiten, die Gerichte davon zu überzeugen, dass die Geschädigten dazu verpflichtet sein sollen, wenn sie aus eigenen wirtschaftlichen Mitteln nicht dazu in der Lage sind, den Schaden vorzufinanzieren. Die Verweisung auf Kaskoversicherung des Geschädigten hat für die Haftpflichtversicherung des Schädigers den Vorteil, dass die Haftpflichtversicherung nur wenige Tage Mietwagenkosten oder Nutzungsausfall zahlen müssten, nämlich bis zu dem Tag, an dem theoretisch die Regulierung durch die Vollkaskoversicherung hätte vorgenommen werden können. Dies bietet für die Haftpflichtversicherung ein riesiges Einsparpotential, so dass die Argumentation der Haftpflichtversicherer wirtschaftlich verständlich ist. Bis zu einer entsprechenden Schadensregulierung durch die Haftpflichtversicherung vergehen oftmals mehreren Wochen oder gar mehrere Monate mit hohen, hieraus folgenden Kosten. Diese Verweisung auf die Vollkaskoversicherung entspricht jedoch nicht der herrschenden Rechtsprechung. Das OLG Naumburg, dass sich mit Urteil vom 19.02.2004 Az.: 4 U 146/03 noch für eine solche Verpflichtung zur Inanspruchnahme der Vollkaskoversicherung ausgesprochen hat, hat sich nunmehr auch der herrschenden Rechtsauffassung angeschlossen und eine Inanspruchnahme der Vollkaskoversicherung mit Urteil vom 15.06.2017 Az.: 9 U 3/17 abgelehnt. Das Gericht stellte fest, dass ein Verstoß gegen die Schadensgeringhaltungspflichten des Geschädigten nicht vorliegt, wenn er seine Vollkaskoversicherung nicht in Anspruch nimmt. Es ist vielmehr die Aufgabe des Schädigers bzw. seiner Haftpflichtversicherung den Zeitraum des Fahrzeugausfall zu begrenzen. Es ist daher dringend anzuraten nach einem Verkehrsunfall anwaltliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, um bestehenden Ansprüche durchsetzen zu können.

Ralf Breywisch
Rechtsanwalt u.
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Mitglied Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht des DAV