20.12.20 Faire Bußgeldverfahren Beschluss des BVerfG vom 12.11.2020 Az.: BvR 1616/18

– Der Grundsatz auf ein faires (Bußgeld-) Verfahren –
Das Bundesverfassungsgericht entscheidet für die Betroffenen

Überall in Deutschland werden jeden Tag Messungen vorgenommen, um zu kontrollieren, dass die Verkehrsteilnehmer die zulässigen Höchstgeschwindigkeiten nicht überschreiten und den Abstand einhalten. Hierzu werden entsprechend Messgeräte benutzt, die im Falle eines Verstoßes gegen die Verkehrsregeln den Betroffen mit seinem Verstoß entsprechend dokumentieren. Hierzu werden von den Messgeräten unterschiedliche Informationen gespeichert. Teilweise speichern die Geräte hierbei die sogenannten Rohmessdaten, aus denen das Gerät dann die Geschwindigkeitsüberschreitung errechnet. Soweit die Geräte die Rohmessdaten speichern, werden diese jedoch den Betroffenen im weiteren Bußgeldverfahren bislang nicht zur Verfügung gestellt, weil dies nicht zu Inhalt der Akte gehören soll. Um ermitteln zu können, ob das Messgerät jedoch den Tatvorwurf zu Recht und richtig ermittelt hat, ist der Betroffene darauf angewiesen, die Rohmessdaten zu überprüfen. Erst durch diese, kann dann konkret vorgetragen werden, weshalb die Messung fehlerhaft erfolgt ist. Hierzu gab es bereits eine Entscheidung des saarländischen Verfassungsgerichtshofes, über welche wir schon mit Artikel vom 28.07.2019 berichtet hatten. Dieser hatte ebenfalls im Sinne der Betroffenen entschieden. Jedoch hatte das OLG Bamberg im Rechtsbeschwerdeverfahren dagegen entschieden und den Antrag des Betroffenen auf Beiziehung und Einsichtnahme oder Überlassung der digitalen Rohmessdaten oder weiterer nicht zu den Akten gelangten Messunterlagen abgelehnt, da weder das rechtliche Gehör noch den Prozessgrundsatz auf ein faires Verfahren verletzt worden sein soll. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in seinem Beschluss vom 12.11.2020 Az.: 2 BvR 1616/18 entschieden, dass der Betroffene doch einen Anspruch darauf hat, Zugang zu den Rohmessdaten zu erhalten. Diese Entscheidung des BVerfG ist von großer Bedeutung. Wie das Gericht ausgeführt hat, widerspricht es dem Grundsatz auf ein faires Verfahren und der hieraus resultierende Waffengleichheit, wenn dem Betroffenen Informationen vorenthalten werden, die zwar nicht in der Bußgeldakte vorhanden sind, aber an anderer Stelle vorliegen. Seitens der Gerichte ist nach der jetzigen Entscheidung bislang immer verkannt worden, dass es bei der Frage des Zuganges des Betroffenen zu den Rohmessdaten gerade kein Erfahrungssatz gibt, dass die eingesetzten Messgeräte unter allen denkbaren Umständen ausnahmslos zuverlässige Ergebnisse liefern, auch wenn es sich hierbei um ein standardisiertes Messverfahren handelt. Dem Geschädigten ist daher der Zugang zu vorhandenen Rohmessdaten zu gewähren. Soweit dem Betroffenen bislang nicht die Möglichkeit gegeben wurde durch Einsichtnahme in die Rohmessdaten den Messvorgang zu überprüfen, sollte bei noch nicht rechtskräftigen Bußgeldbescheiden überprüft werden, ob sich hieraus möglicherweise neue Verteidigungshinweise ergeben.
Ralf Breywisch
Rechtsanwalt u.
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Mitglied Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht des DAV